Im Frühling 1977 hat sie in Bergdietikon als Klassenlehrperson ihre erste Stelle angetreten und geht nun, nach fast dreissig Dienstjahren, in Pension. Was Esther Heimgartner in all den Jahren an der Schule Bergdietikon erlebt hat, möchte ich in einem Gespräch mit ihr erfahren.
R.W.: Warum bist du damals ausgerechnet nach Bergdietikon gekommen?
E.H.: Als ich meine Ausbildung 1977 abgeschlossen hatte, herrschte im Gegensatz zu heute ein Lehrerüberfluss. Ich habe nicht eine Gegend ausgesucht, ich habe mich einfach nur dort gemeldet, wo eine Stelle ausgeschrieben war. In Bergdietikon wurde eine Unterstufenlehrerin gesucht. Als Erstes habe ich auf einer Karte nachgeschaut, wo Bergdietikon überhaupt liegt. Man konnte noch nicht googeln und erste Informationen erhalten. In Schöftland aufgewachsen, war dies keine Gegend, die ich kannte. Dass Bergdietikon im Kanton Aargau liegt, war mir vorerst nicht bekannt.
Wie verlief das Vorstellungsgespräch?
Ich wurde vom damaligen Schulpflegepräsidenten am Bahnhof Dietikon abgeholt. Der Bus nach Bergdietikon fuhr noch nicht regelmässig. Ich wurde gefragt, warum ich nach Bergdietikon kommen wolle. Ich meinte, dass ich mir das Unterrichten in diesem Bauerndorf gut vorstellen könnte. Der Schulpflegepräsident schmunzelte, war Bergdietikon doch schon damals längst kein Bauerndorf mehr.
Ich erhielt die Stelle und konnte nach vier Jahren Ausbildung am Lehrerseminar, mit blutjungen zwanzig Jahren, als Fräulein Frey, meine erste Arbeitsstelle antreten. Ich hätte nicht gedacht, dass ich bis zu meiner Pensionierung hier bleiben würde.
Was hat dich am meisten an Bergdietikon beeindruckt?
Bei meinem Vorstellungsgespräch führte mich der Rektor durch die Schulhäuser, und als er mir mein zukünftiges Schulzimmer im Schulhaus 1 im ersten Stock zeigte, war ich begeistert. Ich hatte noch nie ein so schönes Schulzimmer mit einer solchen Aussicht gesehen.
Wie war deine erste Klasse?
Ich habe die 2./3. Klasse mit 37 Schülerinnen und Schülern übernommen.
Das waren aber viele Schüler, hatten wirklich alle genügend Platz im Zimmer?
Ja, natürlich. Als ich später eine Klasse mit nur dreissig Schülern hatte, fand ich, dass das Schulzimmer fast leer sei. Der Unterricht war damals natürlich auch anders. Man sass meist an seinem Pult und kannte weder Plan- noch Werkstattarbeit. Ein Sofa war auch nicht im Zimmer.
Damals war auch die Oberstufe mit der Sekundar- und Realschule in Bergdietikon. Wie gross war das Schulteam?
Zu Beginn gab es eine 1./2., eine 2./3., eine 4. und eine 5. Klasse. Die 1.–3. Sek war eine Abteilung und die 1.–3. Real war auch gemischt. Dann ein Kindergarten und zwei Arbeitsschullehrerinnen, insgesamt also nur neun Personen. Und nicht zu vergessen unser Abwartsehepaar. Das kleine Team hatte etwas Familiäres. Da im Schulhaus 2 noch die Gemeindekanzlei untergebracht war, war das Lehrerzimmer im Schulhaus 1 beim heutigen Kindergarten im Untergeschoss. Für einen regelmässigen Austausch musste kein Extratermin abgemacht werden. In einem so kleinen Team konnte dies jederzeit geschehen. Bei schönem Wetter gingen wir alle auf den Pausenplatz und machten zusammen Pausenaufsicht.
Welche Unterschiede gab es sonst noch?
Da die meisten Lehrpersonen in Bergdietikon gewohnt haben, hat man sich sehr mit der Gemeinde identifiziert und auch in den Vereinen mitgewirkt. So ergab es sich, dass man Turn-oder Singpartner war von Eltern der Schüler, was nicht immer nur einfach war.
Was ich am heutigen grösseren Team jedoch besonders schätzte, war der fachliche Austausch mit den Lehrpersonen, welche die gleiche Ausbildung oder Aufgaben innehatten. Rückblickend fehlte mir dieser Austausch beim kleinen Team.
Heute arbeiten wir mit Computern, Druckern – und damals?
Ja, am Anfang gab es keine Kopierer. Die Aufgabenblätter haben wir alle mit dem Matrizendrucker vervielfältigt. Ich erinnere mich noch gut an die blau-violette Farbe und den Geruch nach Lösungsmittel. Verständlich, dass damals noch nicht so viel Papier abgegeben wurde. Wir haben sehr viel auf die Wandtafel geschrieben.
Das jetzige Arbeiten mit dem Computer und das erleichterte Erstellen von Papieren habe ich sehr gerne gemacht. Man darf nur das Abspeichern nicht vergessen. (lacht)
Du hast auch an der Schule dein privates Glück gefunden. (Anmerkung: Das wird heutzutage immer schwieriger, mit den fehlenden Männern an der Schule!)
Ja, genau. Unsere Hochzeit wurde fast ein kleines Dorffest. Unsere Schüler bildeten einen Spalier: Meine Erstklässler mit gebastelten Buchstaben, die Sek-Schüler mit auf Schiefertafeln geschriebenen Wünschen. Und die Mädchen hatten Sträusschen mit Schlüsselblumen gemacht.
Nach der Heirat kam die Familie und du hast dich beruflich weitergebildet.
Nach fünf Jahren als Klassenlehrperson habe ich gekündigt. Als mein erstes Kind zur Welt kam, beschloss ich, mich zur Musikgrundschullehrerin auszubilden. Nachdem auch das Jüngste unserer drei Kinder den Kindergarten besuchte, kam ich wieder an die Schule zurück. Ich übernahm vorerst Entlastungsstunden, und später unterrichtete ich als Musikgrundschullehrerin. 2004 lockte mich die nächste Weiterbildung. Ich liess mich zur DaZ-Lehrperson ausbilden. (DaZ = Deutsch als Zweitsprache)
Was war der grösste Unterschied beim Unterrichten als Klassenlehrperson, Musikgrundschul- oder DaZ-Lehrerin?
Das Unterrichten als Klassenlehrperson hat mir sehr gut gefallen. Ich konnte alle Fächer unterrichten, von Mathematik über Heimatkunde bis zum Werken. Ich liebte es, mit den Schülern Projekte zu machen, wo alle Fächer zum Zug kamen. Bei der Musikgrundschule sieht man die Kinder nur einmal pro Woche und hat so weniger Bezug zu ihnen. Trotzdem erlebte ich immer wieder Momente, wo es mir gelang, bei den Kindern die Freude an Musik und Bewegung zu wecken. Im DaZ-Unterricht gefiel es mir, in kleinen Gruppen zu arbeiten. Und wenn ein fremdsprachiges Kind mir zum ersten Mal etwas in Deutsch mitteilen konnte, war dies immer ein Highlight.
Du sprichst noch immer begeistert von deiner Arbeit an der Schule. Es erübrigt sich wohl die Frage, ob du wieder diesen Beruf wählen würdest?
Der administrative Aufwand ist heute viel grösser als früher und die Ansprüche sind hoch. Und trotzdem würde ich diesen Beruf wieder wählen. Ich finde ihn spannend und ich schätze seine Vielfältigkeit: Ja, ich würde wieder Lehrerin werden und wieder auf der Unterstufe.
Wann merkt man, dass man schon lange an der Schule tätig ist?
Ich kann mich noch sehr gut an den Moment erinnern, als das erste Kind eines ehemaligen Schülers in die Schule kam und ich ihn am Elternabend als Vater begrüssen konnte. Auch denkt heutzutage niemand mehr an das Langschuljahr mit dem Wechsel des Schuljahresbeginns, die Einführung der Fünf-Tage-Woche, der Blockzeiten oder der Schulleitung. All das habe ich miterlebt und war bei den Veränderungen hautnah dabei. Eine Neuerung war für mich sehr positiv und ich habe sie sehr schnell eingeführt: Es gab die Empfehlung, im Unterricht in Standardsprache zu sprechen. Schlagartig machten sich die Kinder nicht mehr lustig über meinen Berner-Aargauer Dialekt.
Und was ist immer noch gleich geblieben?
Wenn es im Lehrerzimmer nach frischem Brot duftet, ist man am Ende des Schuljahrs angelangt und die Kinder erhalten den Examenweggen.
Liebe Esther, vielen Dank, dass du der Schule Bergdietikon treu geblieben bist. Wir wünschen dir alles Gute für deinen neuen Lebensabschnitt. Geniess die Ruhe, den Garten und den Liegestuhl.
Regula Weidenmann
Schulpflege Bergdietikon